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Vorstellung zur chirurgischen Korrektur einer Trichterbrust

Der Fall eignet sich für Falldiskussionen aller Art. Er eignet sich insbesondere für die Einübung der Methode der Prinzipienorientierten Falldiskussion. Wir haben ihn in einem Wahlfach von Medizinstudierenden im klinischen Abschnitt eigenständig schriftlich analysieren lassen.
Er kann im Medizinstudium in allen Phasen, aber auch in der Weiter- und Fortbildung von Ärzten und Ärztinnen eingesetzt werden. Er kann aber auch mit (im Studium befindlichen) Vertreter:innen psychosozialer Berufsgruppen besprochen werden oder in einem Medizinethik-Studiengang oder einer klinisch-ethischen Weiterbildung besprochen werden.

Bezüge zu Lehrkonzepten
Perspektivenpuzzle, Diskursives Gruppenfeedback

Fallbeschreibung
Tina ist ein 15jähriges Mädchen, welches sich mit ihrer Mutter in der Thoraxsprechstunde einer universitären Kinderchirurgie vorstellt. Sie hat ein sehr ausgeprägtes Pectus excavatum, auch als Trichterbrust bezeichnet. Ihr Haller-Index (der Quotient zwischen Thoraxbreite und Tiefe) auf einem auswärtigen Computertomogramm beträgt 5,8 (normal bis 3,5). Die Trichterbrust war schon immer vorhanden, hat sich aber in der Pubertät deutlich verschlechtert. Tina klagt bei sportlicher Belastung über Luftnot. Die Trichterbrust störe sie. Ansonsten hat sie keine spezifischen Symptome und fühlt sich gesund. Sie nimmt keine Medikamente, hat keine Allergien und Voroperationen.
Allerdings gibt sie im weiteren Gespräch an, dass sie sich seit einigen Jahren als Junge fühlt. Sie habe sich schon in der Grundschulzeit eher wie ein Junge gekleidet. Ihre Mutter meint, Tina habe auch eher Spiele gespielt, die einem männlichen Rollenbild entsprechen. Ihr zufolge wollte Tina eigentlich ein Junge sein und sich Anton nennen.
Bei der körperlichen Untersuchung ist Tina von der geschlechtlichen Entwicklung im Tannerstadium 5. Sie hat relativ große Brüste, die sie mit einer Binde kaschiert. Sie bindet sich die Brüste in die Vertiefung der Trichterbrust, sodass ihr Rumpf durch die Kleidung flach imponiert und eher eine männliche Kontur aufweist. Bei der Auskultation sind die Herztöne linksverlagert zu hören, die Atemgeräusche sind beidseits symmetrisch und normal. Ansonsten ist der körperliche Untersuchungsbefund altersentsprechend unauffällig.
Es folgt ein relativ langes Aufklärungsgespräch. Eine Trichterbrust kann mit der erwähnten Atemnot bei sportlicher Anstrengung einhergehen, stellt aber an sich keine gesundheitliche Gefahr dar. Die Korrektur ist daher ein elektiver Eingriff, der durch den Wunsch des Patienten bzw. der Patientin indiziert wird. Im Kontext der Trans-Identität würde die Korrektur allerdings dazu führen, dass die Brüste nicht mehr in der Vertiefung des Pectus excavatums „versteckt“ werden könnten.
Tina fragt, ob man nicht gleichzeitig bei der Operation eine subkutane Mastektomie durchführen könne. Sie habe im Internet gelesen, dass man die Brustdrüsen unter der Haut entfernen könne. Sie könne sich nicht mit ihren weiblichen Brüsten identifizieren. Diese kämen ihr wie Fremdkörper vor. Sie wünsche sich daher in einer Operation sowohl die Korrektur der Trichterbrust wie auch die Entfernung der Brustdrüsen, damit sie sich besser mit ihrem Körper identifizieren könne.
Tinas Mutter steht den Wünschen ihrer Tochter offen gegenüber. Sie habe schon länger die Gewissheit, dass Tina eigentlich ein Junge sein möchte. Die Mutter wirkt sehr offen und liberal. Sie ist seit 5 Jahren von Tinas Vater geschieden, beide teilen sich das Sorgerecht. Ihr Ex-Mann sieht die Trans-Identität seiner Tochter sehr viel kritischer. Er kann nicht akzeptieren, dass seine Tochter ein Junge sein möchte und hält ihre Haltung für eine vorübergehende Phase.
Im Weiteren werden Tina und Ihrer Mutter die Risiken der Operationen erklärt. Es wird auch darüber gesprochen, dass eine subkutane Mastektomie ein irreversibler Eingriff ist, vor dem eine interdisziplinäre Abklärung erfolgen muss, einschließlich psychologischer Beratung. Vor Planung eines solchen Eingriffes ist ein entsprechendes Gutachten notwendig. Tina bemerkt, dass sie im Rahmen ihrer Trans-Identität bereits in endokrinologischer und psychologischer Betreuung ist und ein Gutachten kein Problem sei. Ein Verlaufstermin wird in 3 Monaten vereinbart.
In der Zwischenzeit kontaktiert der Kinderchirurg den Vater von Tina. Dieser möchte laut eigener Aussage nur das Beste für seine Tochter. Er vermutet, dass es sich bei der Trans-Orientierung seiner Tochter um eine temporäre Phase handelt, ist aber offen für die Korrektur des Pectus excavatums. Einer subkutanen Mastektomie würde er nicht zustimmen.
Die Wiedervorstellung verzögert sich, nach einem Jahr kommt der 16jährige Anton in die Sprechstunde. Er hat einen kurzen maskulinen Haarschnitt, bekommt nach psychologischem und endokrinologischem Gutachten nun männliche Hormone und wirkt glücklich.
Er möchte sich immer noch die Trichterbrust korrigieren lassen mit gleichzeitiger subkutaner Mastektomie. Er ist fest entschlossen und hat keine Zweifel, dass er den Rest seines Lebens als Mann leben möchte. Nach eigenen Aussagen war die Transition von Tina zu Anton eine innerliche Befreiung. Daher möchte er auch möglichst bald einen chirurgischen Eingriff zur physischen Geschlechtsangleichung der Brust. Die Einstellung der Eltern hat sich nicht geändert. Antons Mutter unterstützt ihn weiterhin bei seiner Transition, der Vater, zu dem Anton nur noch sporadischen Kontakt hat, ist weiterhin gegen eine subkutane Mastektomie.
Das psychologische Gutachten bestätigt, dass der Patient mental stabil ist, sich seiner Sache über die Geschlechtsumwandlung sicher ist und keine psychischen Co-Morbiditäten aufweist. Der Wunsch sei sehr gefestigt, er habe sich quasi schon immer als Junge gefühlt.

Weiterer Verlauf des Falles, (falls es ein authentischer Fall war)
Die Trichterbrust wurde operiert und dabei wurde auf Wunsch des Patienten die Mastektomie durchgeführt, aber erst, als der Patient Volljährig war.

Varianten dieses Falles (Optional)
Fallbeschreibung V1:
Man könnten die Fallschilderung auch vor der Wiedervorstellung unterbrechen/abbrechen und eine ethische Diskussion über eine Korrektur vor der Geschlechtstransition durchführen.